Für Ärzte
Übersicht und Allgemeines
Die folgenden Sektionen sind als allgemeine und einfache Übersicht gedacht für Ärzte, für welche die Erkrankung Myalgische Enzephalomyelopathie (-itis) / Chronic Fatigue Syndrome (ICD-10: 93.3) neu oder weitgehend neu ist. Zur Vereinfachung verzichteten wir hier auf zahlreiche Quellenangaben und beziehen uns auf eine kleine Auswahl von grossen Quellen – diese Arbeiten sind auch zuunterst zum Downloaden aufgeführt oder verlinkt.
Das Thema ME/CFS ist weiterhin sehr explorativ und die Forschungslage leider eher spärlich. Das Krankheitsbild ist klinisch zwar gut definierbar und erkennbar, es existieren jedoch keine ausreichend validierten Vorgehensschemata – dies wird sich in den nächsten Jahren vermutlich ändern.
Als gemeinnütziger Verein ersetzen wir nicht die Angestellten des Gesundheitswesens, dürfen das ärztliche Handeln nicht bestimmen, sowie zu keinen explizit erläuterten Therapien instruieren.
Wir erhoffen uns jedoch, die Ärzteschaft animieren zu können – die Lage ist prekär und die ME/CFS-Betroffenen haben für ihr Leiden nahezu keine Ansprechpersonen unter den Gesundheitsprofis.
Aus unserer Sicht- bis weitere Entwicklungen und Validierungen auf dem Gebiet von ME/CFS stattfinden - bestehen für Ärzte die folgenden Aufgaben:
1.
Anerkennung von ME/CFS als seriöse, körperliche Erkrankung
2.
Richtige und frühzeitige Identifizierung der Betroffenen
3.
Erkennung und Behandlung der Ko-Morbiditäten
4.
Unterstützung der Patienten bei der Symptomkontrolle und Erstellung des individuellen Aktionsplans
5.
Bereitschaft, sich für die Kranken einzusetzen , v.A. durch nicht-stigmatisierende Gutachten, Vermittlung der externen Unterstützung und Weiterleitung ihres Wissens an ihre Berufskollegen
Definiton und Subtypisierung
Myalgische Encephalomyelopathie(-itis) / Chronic Fatigue Syndrome (ICD-10: G93.3) ist eine vorwiegend metabolo-immunologische Erkrankung mit multisystemischen Auswirkungen. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich um eine klinisch charakteristische, erworbene Belastungsintoleranz. Die früher unproblematischen Alltagsaktivitäten (körperlich, geistig, emotional) führen neu zu langandauernden Symptomzunahmen, welche wiederum in einen markanten Verlust der Lebensqualität und Reduktion der Alltagsaktivität münden. Das Symptombild kann sehr individuell sein – die Erfassung ist dementsprechend oft sehr frustrierend.
Zu den Kernmetamerkmalen aller Kranken gehören:
Verlust der Alltagsfunktionalität infolge der Symptomlast
Postexertionelle Malaise (PEM)
Unerholsamer Schlaf
Orthostatische Intoleranz (OI)
Verschlechterung der kognitiven Leistungen
Die Forschung und die klinischen Beobachtungen liefern uns genügend Informationen damit diverse Subtypen von ME/CFS angenommen werden können – einige sind bereits jetzt gut klassifizierbar und/oder heilbar, es fehlt jedoch an Spezialisten auf diesem Gebiet sowie an validierten Vorgehensschemata. Auch die bei manchen Subtypen geeigneten, heilenden Verfahren bleiben noch experimentell und schwer zugänglich.
Unabhängig davon um was für einen Subtyp es sich individuell handeln könnte, ME/CFS ist als eine körperliche Erkrankung zu betrachten – es sind auch messbare und charakteristische Korrelate der Beschwerden auffindbar, obwohl man hierfür grösstenteils speziell gewichtete Untersuchungsprotokolle einsetzen muss. Die Spezifität solcher Befunde für ME/CFS liegt aber weiterhin in derer Kombinationen und Zusammenhang mit dem klinischen Bild und nicht im Vorliegen eines ganz bestimmten pathologischen Wertes.
Ursachen und Risikofaktoren
Hinter manchen ME/CFS-Fällen stecken frustrane Manifestationen von bereits gut charakterisierbaren Leiden («sekundäres ME/CFS»). Bei den meisten bleibt die Ätiopathogenese jedoch unklar. Wir wissen, dass sich mehrere präzipitierende Faktoren ansammeln können, bevor einer davon als Trigger/Auslöser «das Fass zum Überlaufen bringt».
Zu den validierten präzipitierenden Faktoren gehören:
Diverse Infektionen, v.a.:
der unteren und der oberen Atemwege
des gastrointestinalen Traktes
des urogenitalen Traktes
der Haut/Schleimhäute
des zentralen Nervensystems
Belastende Lebenssituationen, v.a.
diverse Traumata (sowohl körperlich als auch psychosozial
- z.B.: Unfälle, Operationen, Verluste)
intensive Lebensführung oder -umstellung (z.B.: Leistungssport, Reisen, Arbeit)
Unterversorgung (z.B.: Schlafmangel, Unzureichende Ernährung mit Gewichtsverlust)
hormonelle Umstellungen (z.B. Schwangerschaft, Geburt, Adoleszenz, Andro-/Menopause)
toxische Expositionen (z.B. Orgnophosphate, Quecksilber, Ciguatera-Toxin)
Die Infekte sind die am häufigsten berichteten Auslöser/Triggers (ca. 40% der Fälle). Interessanterweise schreibt man denen in den Akutphasen meistens keine grossen Bedeutungen zu (üblicherweise bekannt als selbstheilend/selbstlimitierend oder gut beherrschbar z.B. dank Antibiotika). Das Erregerspekturm ist gross, auffallend handelt es sich grösstenteils um die intrazellulär persistierenden und bekanntlich immunmodulierenden Pathogene (z.B. Herpesviren, Betacoronaviren, Enteroviren, Coxiellen, Borrelien, Lues oder Chlamydien).
Bisher wurden keine «klassischen» Risikofaktoren für die Entwicklung von ME/CFS eindeutig bestätigt (bis auf das weibliche Geschlecht und Alterspeaks wie vorher erwähnt), frühe Vernachlässigung der Erkrankung (Tendenz zum schweren Verlauf), sowie positive Familienanamnese für ME/CFS bei der Mutter (ebenfalls Tendenz zum schweren Verlauf).
Die Ethnie, die Geographie und der sozio-ökonomische Status schienen bisher keine grosse Rolle zu spielen – es fehlt jedoch eindeutig an Informationen aus den «Zweit- und Drittweltländern».
Es werden diverse Risikofaktoren für die Entstehung von ME/CFS postuliert - v.A. genetische aber auch Vorbestehende, psychosoziale Belastungen oder Traumata. Eine geschwächte Resilienz und erhöhte Vulnerabilität sowie mangelnde soziale Unterstützung kann womöglich dazu beitragen, dass sich ME/CFS entwickelt (Stressachsen-Überaktivierung/erhöhter Sympathikustonus). Eine statistische Belegung dieser Vermutungen liegt aber nicht vor.
Weitere Wichtige Zahlen
0.2 -0.4%
Prävalenz
Die meta-analytisch vermittelte Prävalenz beträgt 0.2 bis 0.4% mit Inzidenzpeaks in der Adoleszenz (ca. 11 – 14 LJ) sowie im mittleren Erwachsenenalter (ca. 30 - 45 LJ).
25%
dauerhaft bettlägerig
60 bis 80% der Betroffenen sind weiblich. Die Spontanerholungsrate beträgt unter 10%. Nur ca. 40% der Betroffenen erhalten eine vollständige oder partielle Arbeitsfähigkeit. Ca. 25% werden im Laufe der Erkrankung länger oder dauerhaft bettlägerig.
51 Mrd.
Kosten jährlich in den USA
Die Erkrankung wird weitgehend verpasst und verursacht immense Kosten (direkt und indirekt: in den USA bis 51 Milliarden USD jährlich; übertragen auf die Schweiz, würde dies einem dreistelligen Millionenbetrag in CHF entsprechen).