Geschichte
Die Geschichte von ME/CFS
Das Interesse an ME/CFS ist auf gar keinen Fall eine neue Modeerscheinung. Viele Denksysteme gebarten Namen und Konzepte für chronische Erschöpfungszustände mit zahlreichen Begleitsymptomen – sie sind anzutreffen in diversen Werken aus der ganzen Welt und aus allen Zeitepochen. Manche sprechen hier sogar von der «Krankheit der Tausend Namen».
Im Verlauf der Jahrhunderten ergaben sich zahlreiche Begriffe, welche mit ME/CFS entweder gleichzusetzen oder damit sehr verwandt sind. So sprechen hier manche über «die Krankheit der Tausend Namen», was im übertragenen Sinne gar nicht so abwägig ist. Hier werden einige Begriffe möglichst chronologisch dargestellt (fettgedruck sind diejenigen von besonderer Bedeutung):
Hysterie
Melancholie
Acedia
Neurasthenie
Mother’s Fits
British Malady / British Sweats
Febricula / kleines Fieber / enterisches Fieber / hysterisches Fieber / nervöses Fieber
Strother’sches Fieber
Nervöse Prostration
Beard’s Disease
Epidemische Neuromyasthenie
Americanitis
Pithiatismus
Diverse Konversionsneurosen (z.B. «Herzneurose»)
Shell Shock
Bullet Wind
Soldier’s Heart
Operational Exhaustion
Battle Fatigue
Da Costa’s Syndrome
Zittersyndrom
Atypische / Abortive Poliomyleitis (Polio)
Epidemische Neurasthenie
Neurocirculatory / Vasoregulatory Asthenia
Coventry Disease
Diencephalitis
Persistent myalgia following sore throat
Akureyri Disease
Royal Free (Hospital) Dieseas, Royal Free (Hospital) Hysteria
Ramsay’s Disease
Benigne Encephalitis
(Benigne) Myalgische Encephalomyelitis / (B)ME
Postviral Fatigue Syndrome (PVFS)
Spasmophilie
Tetanie chronique idiopathique
Lymphocytic meningoencephalitis with myalgia and rash
Lymphoreticular encephalomyelopathy
Epidemic Vegetative Neuritis
Nightingale Syndrome
Infectious Venulitis
Lymphatizismus
West Otago Mystery Disease
Tapanui-Grippe
Raggedy Ann Syndrome
(Lyndonville) Chronic Mononucleosis
Chronic Ebstein-Barr Syndrome
Chronic Active Ebstein-Barr Virus / CAEBV
Chronic Mononucleosis (Like) Syndrome
Yuppie Flu
Gulf War Syndrome / GWI
Chronic Fatigue Syndrome / CFS
Chronic Fatigue and Immune Dysfunction Syndrome / CFIDS
Syndrome polyalgique idiopathique diffuse / SPID
Multiple Chemical Sensitivity (Syndrome) / MCS(S)
Fibromyalgie / FM
Mast Cell Activation Syndrome / MCAS
Damadian’s Ache
Chronic Brucellosis
Chronic Lyme Disease
Chronic Immune Activation Syndrome / CIAS
Chronic Activated Immune Dysfunction Syndrome / CIADS
Naxalone-Reversible Monocyte Dysfunction Syndrome / NRMDS
Low Natural Killer Cell Syndrome
Ecological Disease
Antibody Negative Lupus Erythematodes
Systemic Exertion Intolerance Disease / SEID
Zusammenfasung
Antike und Mittelalter
Umfasst die Zeitperiode bis zum Jahr 1492. Es kreisen Begriffen wie «Rheuma», «Hysterie», «Melancholie» und «Acedia» herum. Dieses vorwiegend philosophische Gedankengut ist in unterschiedlichen Formen und Überlieferungen in die späteren Epochen reingeflossen, bildete also die Grundlage für weitere Ansätze.
17.–19. Jahrhundert
(Die frühe Neuzeit)
Umfasst die Zeitperiode bis zur Mitte des 19ten Jahrhunderts. Rege werden unklare Epidemien und vermehrte Einzelfälle von dauerhafter Erschöpfung untersucht. Die Abhandlungen gewinnen an medizinischem Charakter. Zu den Hauptbegriffen gehören: «Hysterie», «Febricula», «nervöse Prostration» und «Neurasthenie».
19. Jahrhundert,
Fin du siecle
(Die späte Neuzeit)
Umfasst die letzten Dekaden des 19ten sowie die ersten Dekaden des 20ten Jahrhunderts. Hier erlebte das Interesse an chronischen Erschöpfungszuständen mit unklarer Symptomatik eine gewisse Hochkonjunktur. Begriffe wie «Hysterie», «Neurasthenie», «Lymphatizismus» und «Pithiatismus» wurden Gang und Gäbe. Aufgrund des vermehrten Auftretens solcher Zustände bei den Opfern des Ersten Weltkrieges erlebte die Traumaforschung auch einen Riesenschub mit wesentlichen Einflüssen auf die spätere Handhabung. Es ist auch in dieser Zeit als Medizin und Psychologie vermehrt auseinander gingen und sich das Hauptfundament für spätere, hartnäckige Überzeugungen gefestigt hat - z.B. psychosomatische Genesen vieler Leiden oder ungleiche Handhabung ähnlicher Leidensbilder je nach Kulturkreis, sozialer Schicht, biologischem Alter und Geschlecht.
1910–2000
Hier fand die wichtigste Pionierarbeit statt, welche das heutige Verständnis von ME/CFS wesentlich geformt hat. Begriffe wie «atypische Poliomyelitis», «benigne myalgische Encephalomyleitis», «Akureyri Krankheit», «Tapanui-Grippe» kursierten vorerst in relativ kleinen Nischen, breiteten sich aber langsam aus. Obwohl bereits erste Auffälligkeiten der Epidemiologie, der Biochemie und der Gewebelehre (Histologie) zeitgemäss eindrücklich demonstriert wurden, konnten sich diese Erkenntnisse noch nicht in den Mainstream durchsetzen – die über Jahrhunderte gesammelten Betrachtungsweisen sowie die noch mangelnde, globale Vernetzung standen leider im Weg.
ab 2000
Zeit der Wendepunkte im Verständnis des ME/CFS. Mit Einzug des Internets kam das jahrzehntelang weitgehend noch ignorierte Fass langsam zum überlaufen. Betroffene und Interessierte tauschten sich untereinander aus, knüpften Kontakte und bildeten Organisationen - es gab ziemlich eindeutig etwas, was das bisherige Gesundheitswesen nicht nur unzureichend, sondern nahezu überhaupt nicht abdeckte. Langsam kam es zu ersehnten, wissenschaftlichen Umbrüchen und sozio-politischen Umschwünge.
Begriffserklärung ME/CFS
ME/CFS steht für eine Fusion von zwei Begriffen
Myalgische Enzephalomyelopathie(-itis)
("muskelschmerzhafte Veränderung/Entzündung des Gehirnes und des Rückenmarkes")Chronic Fatigue Syndrome
("Chronisches Erschöpfungssyndrom")
Über lange Zeit exisiterten die obigen Namen weitgehend separat und wurden auch für zwei unterschiedliche Krankheitsbilder angewendet. Angesichts der späteren Entwicklungen, welche immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Zuständen aufzeigten, wurden die Begriffe vorerst zunehmend austauschbar bis man sie schliesslich im Jahr 2003 formal zusammenfügte. Unter näherer Betrachtung waren jedoch beide Begriffe bereits vom Anfang an ziemlich unglücklich und auch deren Verbindung obliegt noch vielen Diskussionen.
Abgesehen von zahlreichen, aktiven Kontroversen um den Doppelnamen, wird ME/CFS in der Internationalen Klassifikation der Erkrankungen und verwandten Gesundheitsprobleme (ICD-10) unter G93.3 kodiert als "postiviral fatigue syndrome, benign myalgic encephalyomyelitis".
ME/CFS ist nach heutigem Verständnis entweder gleich zu setzen oder sehr verwandt mit vielen weitern Zuständen. Dazu gehören, u.A.: Fibromyalgie (FM), Golfkriegs-Syndrom (GWI), Ramsay's Disease, Akuryeri Krankheit oder Tapanui-Grippe. Es ist zu erwarten, dass die Informationsgewinne über solche Krankheitsentitäten zu einer neuen Klassifizieriung führen werden mit einem neuen Dachbegriff und zahlreichen Subtypen darunter.